Obwohl sich ein Taifun nähert erreiche ich meinen nächsten Gastgeber Henry nahe Ishinomaki fast gänzlich trocken. Als ich ihn von einer Telefonzelle anrufen will, plätte ich beinahe einen kleinen Frosch, der auf dem Zahlenfeld sitzt. Glück gehabt. Das wäre fast wie ‘bei Anruf Mord’. Aber ich muss zugeben, dass der Anblick recht gut zur grünen Unternehmensidentität von Japans nationalem Telekommunikationsunternehmen NTT passt. Mit welchen ungewöhnlichen Werbemethoden sich NTT doch nicht überall einschleimt.
Am nächsten Tag führen mich Henry und sein Freund Mike durch das Gebiet, das vom Tsunami getroffen worden ist.
Eine harte Zeit beginnt nun für mich. Ich erreiche das Küstengebiet, das am schlimmsten vom 3/11 Tsunami getroffen worden ist und werde das gesamte Gebiet bis nach Aomori – die nördlichste Präfektur von Japans Hauptinsel Honshu -durchqueren. Wohlwissend, dass ich dort keinen einzigen Gastgeber gefunden habe und mich schwertun werde Unterkünfte zu finden.
In meiner ersten Stadt Minamisanriku jedoch habe ich Glück, da es dort eine erhöhte Halbinsel gibt, die größtenteils vom Tsunami verschont blieb. Glücklicherweise befindet sich dort auch ein Ryokan (billige japanische Herberge). Somit war das Finden einer Unterkunft für heute nur ein kleineres Problem in Gegensatz zu dem Problem, das ich jetzt bekomme: Als ich nach dem Weg frage wird mir gesagt, dass es zur Herberge mindestens noch eine Stunde sei. Der Mann ist ebenso freundlich mich wissen zu lassen, das der Taifun, der auf die Küste zurauscht, beschleunigt hat. Erst jetzt wird mir klar, dass es eine ziemlich dumme Idee war das Tsunamigebiet in der Taifunsaison zu durchqueren. Denn gerade jetzt wäre es sinnlos ein Zelt mit mir zu haben, da es weggeblasen würde. Also beeile ich mich lieber, da es auch noch bald dunkel wird. Und natürlich müssen gerade in dieser Situation noch drei Berge vor mir liegen.
Ich radle nun seit 30 Minuten, als ein Pick-up-Lieferwagen zu meiner Rechten abbremst. Es ist der Mann, den ich nach dem Weg gefragt habe. Während er fährt deutet er mit seinem Daumen auf die Ladefläche seines Pick-ups und blickt mich fragend durchs Fenster an. Da ich es vermeiden möchte vom Taifun weggeblasen zu werden, nicke ich ihm zu. Er überholt mich und parkt in der nächsten Haltebucht. Es ist bereits das dritte mal, dass ein völlig fremder mir Hilfe anbietet.
Der Taifun zieht über Nacht vorüber und zu meiner Überraschung ist der nächste Tag vollkommen wolkenfrei. Da das Auftreffen des Tsunamis über ein Jahr zurück liegt sind die Straßen natürlich vom Geröll geräumt. Gelegentlich gibt es Umleitungen, da die ursprüngliche Straße vom Meer überflutet ist, weil sich das Land mancherorts durch das Erdbeben abgesenkt hat.
Während ich durch diesen Gebiet radle sehe ich unzählige von Geröllbergen. Hunderte von Baggern sortieren den sperrigen Unrat. Sie türmen Berge auf aus rostigen und total verformten Autos oder aus halb verrotteten Holzbalken und Möbelteile. Kleinere Geröll wie verbogene Metallröhren, verdreckte Plastikteile oder modrige Decken wird von Hand sortiert. Das Ausmaß dieser Geröllberge oftmals so groß wie ein Fußballfeld meist sogar größer und manchmal so groß wie ein vierstöckiges Gebäude. Diese Hügel findet man fast überall!
Mein nächstes Ziel Kesennuma gleicht einer Ruinenlandschaft. Das erste mal in meinem Leben bin ich in einem Katastrophengebiet. Erst jetzt wird mir klar, wie groß der Unterschied zwischen Vorstellung und Erleben eines solchen Gebiets ist. Wir alle haben die schrecklichen Bilder im Fernsehen, Internet, den Zeitungen und Magazinen gesehen. Vielleicht mehr als tausend mal. Und dennoch zeigt nichts von alledem das totale Ausmaß der Zerstörung hier. Ich selbst muss das insbesondere dann feststellen, wenn ich nach Unterkünften suche. Aber ich habe Glück und finde eine Herberge in etwas Entfernung zur See.
Besonderen Dank an: Mattew Hahn, Henry Ngai, Tori & Kyle Sharpe (alle U.S.A.), Mike Onotera (Kanada) Hubertus Neidhart vom Deutschen Webspace Provider Network für den exzellenten Service; Lilith Pendzich;
1 Kommentar
Henrik
Oktober 24, 2012 von 6:23 am (UTC 0) Link zu diesem Kommentar
Ich bin mal gespannt auf die noch folgenden Berichte. Live muss das ganze nochmal was ganz anderes sein.