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Okt 27 2012

Flucht aus dem Tsunamikatastrophengebiet

Auch wenn meine nächste Stadt Kamaishi eine Vielzahl von Hotels hat die wieder restauriert worden sind, tue ich mich trotzdem schwer eine Bleibe zu finden. In Kamaishi gibt es ein großes Stahlwerk, das bereits voll funktionsfähig ist. Ein Großteil der Stadt ist in einem langen, schmalen Tal gelegen, das weit bis ins Landesinnere hineinreicht und von der Küste aus einer ständigen Steigung unterliegt was der Grund dafür ist, dass dieser Stadtteil den Tsunami unbeschadet überstanden hat. Die florierende Wirtschaft hier hat ausgebuchte Hotels zur Folge. Nachdem ich bereits zum fünften Hotel hetze finde ich endlich ein Zimmer. Ich bin nur noch gestresst. Ich will das Küstengebiet schon jetzt so schnell wie möglich verlassen.

 

Am nächsten Tag erreiche ich endlich den Ort, der Grund dafür ist, weshalb ich überhaupt durch diese Gegend radle: Der Kindergarten Midori für den ich Spenden sammle.

Ein weiterer Taifun fegt durch die Präfektur, als ich mich von Otsuchi auf den Weg nach Miyako mache. Das Auge des Taifuns liegt aber über dem Meer. Trotzdem ist der Regensturm hier so stark, dass es für mich unmöglich ist Otsuchi zu filmen. Das Bild der Verwüstung übertrifft alles, was ich bisher an Zerstörung gesehen habe. Es könnte auch Hiroshima eine Woche nach Detonation der Bombe sein. Es ist grausam! Graue Regenschwaden peitschen über das triste Brachland zerstörter Hausfundamente. Der Horizont verschwindet im unendlichen Nebel. Ich halte mich hier nur einige Tage auf aber diejenigen, die hier leben sind jeden Tag mit diesem Bild der Verwüstung konfrontiert.

 

Meine nächste Stadt Miyako ist mehrheitlich vom Tsunami verschont geblieben da sie von einer Halbinsel geschützt wurde, die einen Großteil des Tsunamis abgefangen hat. Trotzdem radle ich auch hier durch einen Stadtteil, der komplett ausgelöscht wurde.

Kura-haus in Miyako. Verhältnismäßig weit vom Meer entfernt trotzdem stark beschädigt.

Kura-haus in Miyako. Verhältnismäßig weit vom Meer entfernt trotzdem stark beschädigt.

Von Miyako an gen Norden wandelt sich die Küste in eine Steilküste, mit Klippen, die teilweise bis zu 200 Meter hoch ragen. Es wären 90 km bis zur nächst größeren Stadt Kuji. Zu weit für mich, um dies mit meinem Hänger und mehreren Bergen und Tälern dazwischen an einem Tag zu schaffen. Also suche ich mir eine Herberge in Tanohata einer kleinen Stadt dazwischen. Als ich die Herberge gegen Abend erreiche stellt sich heraus, dass sie geschlossen ist. Mein Fehler. Ich habe nicht vorher angerufen um zu reservieren. Natürlich ist es die einzige Herberge in dieser Stadt. Ich frage bei der Koban (örtliche Polizeistation) nach Rat. Sie rufen mehrere Pension für mich an – ja ich weiß, etwas, was niemals in Deutschland passieren würde aber für die Polizisten hier eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint – aber alle sind voll. Es gibt ein kleines Hotel nahe der Küste ungefähr acht km von hier sagen sie mir. Mittlerweile ist es dunkel draußen. Kurz bevor ich aufbreche lässt sich mein Rücklicht nicht mehr einschalten. Irgendwie muss der starke Regen des letzten Taifuns die Elektronik beschädigt haben. Natürlich kommt es am Schlimmsten, wenn man meint, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann. Als ob dies schon nicht genug wäre warnen mich die Polizisten noch, dass es eine sehr gefährliche Strecke durch eine tiefe und enge Schlucht sei. Davon, dass mein Rücklicht kaputt ist, erzähle ich ihnen lieber nichts während ich mein Fahrrad um die Ecke schiebe und mich von ihnen verabschiede.

Die Steilküste nach Miyako

Langsam nähere ich mich der Schlucht. Und sie ist wirklich tief. Die Straße hat keine durchgehende Schutzplanke. Was mich ängstlich stimmt ist die Tatsache, dass ich mitten im Nirgendwo bin und hier keine Autos fahren. Sollte mir hier etwas zustoßen könnte es einige Zeit dauern, bis man mich findet. Wenigstens ist der Himmel frei und es ist nicht all zu kalt. Einerseits wirkt der Kontrast der steilen Schluchtwände zum funkelnden Sternenhimmel irgendwie bedrohlich andererseits hat es auch was romantisches. Nichtsdestotrotz. Beides ist ziemlich ablenkend und so passiert es, dass ich beinahe in den klaffenden Abgrund rausche. Es ist so dunkel, dass ich trotz meines Fahrradlichts kaum etwas sehe.

Ich überlebe die Schlucht und erreiche endlich das Hotel. Natürlich ist es voll. Nach der Jagt auf Unterkünfte, der Flucht vor zwei Taifunen, all der zerstörten Städte, durch die ich mich in den letzten Tagen gekämpft habe, der Irrfahrt durch die Schlucht und absoluter Erschöpfung verzweifle ich jetzt total! Ich kann wirklich nicht mehr! Scheinbar sieht mir der Hoteldirektor meine Verzweiflung an. Er weiß, dass hier wirklich nichts in der Gegend ist, wo ich bleiben könnte. Und er weiß auch, dass es ziemlich unmenschlich wäre, mich wegzuschicken. Also entscheidet er den Gemeinschaftsraum in ein Zimmer für mich umzufunktionieren. Ich will raus aus dem Gebiet! Ich will hier nur noch weg!

Besonderen Dank an: Mattew Hahn, Tori & Kyle Sharpe (alle U.S.A.), Hubertus Neidhart vom Deutschen Webspace Provider Network für den exzellenten Service; Lilith Pendzich;

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