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Aug 02 2011

die achte Woche

Es ist manchmal schon erstaunlich, wie sich manche Dinge verändern, wenn man eine Reise in ein fernes Land antritt. Ich bin also nun zwei Monate hier und habe die größten Kulturschocks bereits hinter mir. So langsam beginnt hier der Alltag für mich. Von wegen…

Da ich ja bisher nur eine Halbtagsstelle als Englischlehrer in einer Nachmittagskinderbetreuung habe, bewerbe ich mich für weitere Jobs. Den interessantesten Job von allen hat Brandon für mich entdeckt, der bereits zum zweiten mal mein Gastbeber ist. Er scheint es sehr gelassen zu nehmen, obwohl wir uns ein 16 m² Zimmer teilen. Es gibt hier mehrere Lokalisierungsagenturen, die Videospiele in der Entwicklungsphase testen und zusätzlich übersetzen bzw. die Inhalte auf Übersetzungsfehler hin überprüfen. Da ich bereits mehrjährige Erfahrung in der Videospielebranche habe, habe ich mich bei gleich zwei sogenannten Linguistic Test Agenturen beworben, die deutsche Muttersprachler suchen. Im Gegensatz zu meinem Job als Englischlehrer verstehe ich natürlich, dass in so einem Fall nur Muttersprachler in Frage kommen. Tatsächlich melden sich beide Agenturen und schicken mir einen Deutschtest für den mir die eine Firma zwei Wochen, die andere ein Wochenende Zeit gibt.

Gleich nach Zusendung via Mail am Montag Morgen werde ich für den nächsten Tag zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Ich sehe mir die Firmenwebseite genauer an und sehe, dass sie ihre Hauptniederlassung in Kanada und zwei weitere Geschäftsstellen in Madrid eben hier nahe Kawasaki haben.

In einer kurzen Mail sage ich zu und bitte für einen etwas legereren Kleidungsstil für das Vorstellungsgespräch um Verständnis, da mein Anzug noch auf dem Weg von Deutschland nach Japan wäre :-) Die Antwort kommt prompt und legitimiert mich dazu, in einem zwanglosem Kleidungsstil zu erscheinen.

Es ist ein heißer, strahlend sonniger Dienstag und ich mache mich für das Vorstellungsgespräch von meinem jetzigen Gastgeber von Kawagoe in der Präfektur Saitama auf den Weg zur Kanagawa Präfektur nach Saginuma. Dazu muss ich praktisch komplett Tokyo (Metropole und Präfektur) durchqueren. Zwar bin ich überpünktlich am Zielbahnhof aber auf dem Fußweg zum Vorstellungsgespräch verirre ich mich natürlich mal wieder. Ich befinde mich scheinbar 10 min. vom Büro entfernt und es wären aber laut Wegbeschreibung der Firma nur 2 Minuten. Ich mag zwar heißes Wetter, aber heute ist es alles andere als passend. Durch das Herumgeirre komme ich schon sehr ins Schwitzen. Als die Zeit knapp wird, halte ich nach einem Taxi Ausschau. Natürlich sieht man nie eins, wenn man es braucht. Ich soll um 15:00 zum Gespräch erscheinen und es ist fünf vor. Wow, es sieht so aus als würde ich selbst hier in Japan meinem Motto „10 Minuten nach der Zeit beginnt des Pendzichs Pünktlichkeit“ gerecht werden. (© by Christoph Flossmann) Nein … leider werde ich dem dieses mal doch nicht gerecht. Was noch cooler ist, ist die Tatsache, dass ich kein Bargeld dabei habe und das Taxi, welches ich gerade angehalten habe, keine Kreditkarten akzeptiert. Um sie über meine Verspätung zu informieren, rufe die Agentur an. Dabei denke ich mir: „Eigentlich wäre es doch am besten, wenn ein Japaner die Adresse der Agentur dem Taxifahrer nennen könnte“. Also nutze ich doch gleich die Gelegenheit und frage den Firmenchef, ob er mir diesbezüglich nicht helfen könne. Ich reiche das Handy an den Taxifahrer weiter, er erhält eine detaillierte Wegbeschreibung und reicht das Handy zurück. „Ach ja, da wäre noch eine Sache“, sage ich wieder am Telefon zum Firmenchef, „Könnten Sie mir vielleicht noch bei einem Problem aushelfen? Ich habe kein Bargeld könnten Sie mir ggf. die Taxifahrt zahlen und ich begleiche dies dann später?“…

Mit 20-minütiger Verspätung erscheine ich zum Vorstellungsgespräch. Scheinbar eher amüsiert und weniger brüskiert sind der Chef und Personalchefin über die Art meiner Ankunft. Allerdings auch ein wenig schockiert über mein mein Erscheinungsbild. Ich bin total verschwitzt. Mein Hemd ist ein einziger Waschlappen. Und ich meine einen nicht ausgewrungenen. Kein Bereich des Hemdes zeigt auch nur eine einzige trockene Stelle. Es ist so nass, dass es praktisch überall an meiner Haut klebt. Hm… Ich glaube den Kommentar – „Ich dachte es handelt sich um eine Bewerbung als Model für ein Wet shirt contest.“, spare ich mir hier wohl lieber. Vielleicht sollte ich auf deren Frage hin, ob alles okay sei, auch nicht in Bruce-Willis-Manier antworten: „Hm?“, etwas verdutzt schauen, “Ah, ja, ja, heute ist Waschtag!“

Ich bin mir durchaus bewusst, dass das kein Glanzstart für einen neuen Job ist und nachdem mir erläutert wurde, was meine Aufgaben wären muss ich scheinbar schon die nächste Skurrilität erklären und scheine den Geschäftsführer damit wohl endgültig zu verwirren: „Also Moment, Sie sind bereits seit fast zwei Monaten in Japan, sind auf eine Adresse registriert bei der Sie nur gelegentlich wohnen?“

„Ja, so ungefähr?“, antworte ich.

„Also gut, solange Sie nicht so spät wie zum heutigen Termin zur Arbeit erscheinen, hat unsere Firma damit kein Problem. Aber wie berechnen wir denn dann Ihre Anfahrtskosten, die wir Ihnen ja erstatten würden? Und an welche Adresse sollen wir Briefe schicken? Und könnten Sie sofort anfangen? Sie wissen ja, dass es sich um eine Vollzeitstelle handelt.“

„Moment, ich dachte es ist projektbasierte Arbeit mit flexiblen Arbeitsstunden ähnlich wie bei den Sprachschulen hier.“, frage ich.

„Nein, wir würden Sie Vollzeit beschäftigen! Da führt kein Weg dran vorbei!“, antwortet er.

„Also, ich habe aber schon einen Vertrag für einen Teilzeitjob als Englischlehrer unterschrieben. Und der läuft bis März nächsten Jahres… Also gut. Nehmen wir mal an, ich wäre bereit den Job als Englischlehrer aufzugeben vorausgesetzt die Kita würde der Vertragsannullierung zustimmen. Könnten wir so eine Lösung finden?“, frage ich.

„Also da wir sehr kurzfristig jemanden suchen, entscheiden wir uns noch heute zwischen unseren Bewerbern, und könnten ihnen dann Bescheid geben. Sollten wir uns für Sie entscheiden, würden wir Ihnen natürlich ein, zwei Tage Zeit geben um die Sache mit Ihrem Lehrerjob zu klären. Solange würden wir den anderen Bewerbern noch nicht absagen. Heute ist Dienstag könnten Sie denn schon nächsten Montag hier anfangen?“, möchte er wissen.

„Also wie gesagt ich muss das auch noch mit der Kita besprechen. Aber ich könnte Ihnen sicherlich morgen schon Bescheid geben.“ sage ich.

„Gut, da wir dringend jemanden suchen, den wir zum schnellstmöglichen Zeitpunkt einstellen können, werden wir uns schon heute Abend entscheiden, sodass Sie alles in die Wege leiten können, sollten wir uns für Sie entscheiden. Also dann alles Gute!“, begleitet er mich zur Tür.

„Die nehmen mich sowieso nicht, so verplant, verspätet und verschwitzt wie ich dort aufgetaucht bin und unter welchen Kriterien es überhaupt zu einer Einstellung kommen kann.“, denke ich mir als ich gerade auf dem Heimweg durch den U-Bahnhof von Shibuya schlendere und gerade mein Handy klingelt: „Hallo, Pendzich San hier ist Enzyme, wir würden Sie gerne bei uns einstellen …

Wow, ziemlich cool! Was für ein cooler Job! Aber auf der anderen Seite. Was ist mit den Kids in der Kita? Sie sind mir richtig ans Herz gewachsen und den netten Kitachef will ich auch nicht im Stich lassen müssen.

Mittwochs arbeite ich zwar nicht in der Kita, aber schließlich bittet man ja den Chef nicht telefonisch, in einer Email oder via um vorzeitige Vertragsauflösung also mache ich mich somit auf den Weg zur Kita.

Dort angekommen bitte ich den Chef um ein persönliches Gespräch. Ich erkläre ihm meine Situation, dass mir die Entscheidung auch sehr schwer gefallen ist, ich aber darum bitte den den Arbeitsvertrag ohne die einmonatige Kündigungsfrist beenden zu können. Als zusätzliche Bestechung und gleichzeitige Entschuldigung überreiche ich ihm noch eine Flasche Wein.

Man sieht meinem Chef, Kuba San, an, dass er nicht gerade begeistert ist, dass er sich nach nur einem Monat wieder einen neuen Lehrer suchen darf. Mit japanischer Höflichkeit akzeptiert Kuba San meine Entscheidung. Ich sage ihm noch, dass mir für den neuen Job angeboten wurde eine Übergangszeit wahrzunehmen. Kuba San wird hellhörig. Zwei Wochen lang könnte ich noch halbtags unterrichten. Er bittet mich darum die zwei Wochen noch zu unterrichten. „Das mache ich gerne!“, erwidere ich, „Und nochmals Entschuldigung.“

Es scheint, als müsse ich mich also auf einen neuen Alltag einstellen. Ich bin schon gespannt, was mich nächste Woche erwartet.

Verräter, Du wolltest bis März nächsten Jahres bleiben!!!

Verräter, Du wolltest bis März nächsten Jahres bleiben!!!

Der Abschied fällt schwer... Man sieht es an meinem Grinsen ;)

Der Abschied fällt schwer... Man sieht es an meinem Grinsen ;)

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