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Jul 12 2011

die dritte Woche

Hier kommt die Maus!

Die Maus Maskottchen der Dokkyo Universität

Die Maus Maskottchen der Dokkyo Universität

Freitag. Meine Gastgeberin Celine hat kein Internet zu Hause weshalb sie mich in ihre Uni, die Dokkyo Universität, mitschleppt. Dort gibt sie mir Ihr Wireless Passwort und macht sich dann zu ihren Vorlesungen. Ich finde es toll. Somit lerne ich sogar das japanische Studentenleben kennen. Auch wenn ich erst mal keine wesentlichen Unterschiede zu einer europäischen Universität ausmachen kann. Wie man es von einer Uni erwartet gibt es viele Lehrsäle, eine große Bücherei und natürlich die Mensa. Das Essen dort ist gut. Was mir aber Freude bereitet, ist, dass die Dokkyo Universität die Maus als Maskottchen hat. Welche Maus? Die von der Sendung mit der Maus!

 

 

Ein Mausfan

Ein Mausfan

Drei Mäuse!

Drei Mäuse!

Presented in Surround

Und wieder wird umgezogen. Dieses mal zu Bryan, einem Amerikaner, der übrigens einige Jahre zuvor in Deutschland gelebt hat und – wie könnte es anders sein – Englischlehrer ist. Da es mal wieder Wochenende ist, geht es abermals auf Reisen zu Freunden in die Berge.

Berge nahe Tokyo

Berge nahe Tokyo

Zusammen mit Bryans Freunden lerne ich bei einem Restaurantbesuch nicht nur bestes japanisches Essen, sondern im Anschluss bei einem Ehepaar, mit dem Bryan befreundet ist, auch besten japanischen Alkohol kennen. Das Paar ist aber auch mit westlichen Alkoholika sehr gut ausgestattet und so steuere ich ein paar Cocktails bei. Ich habe schließlich mal in einer Disko gearbeitet…

Cozy Cocktails

Cozy Cocktails

Plötzlich zerstört eine Art Handy SMS-Ton die entspannte Atmosphäre. Ich frage mich, ob ich schon so viel getrunken habe oder ob das ein verdammt gutes Surround Sound Handy ist. Ich könnte schwören, dass ich den Ton von mindestens drei Orten im Raum höre. „Oh Mann, muss dass unsere schöne Unterhaltung unterbrechen!?“ ärgern sich zwei von Brandons Freunden und hohlen gleichzeitig Ihre Handys aus der Tasche.

„Was ist denn?“, frage ich in die Runde.

„Das ist das Erdbebenfrühwarnsystem“

Es herrschen zehn Sekunden Stille:

„Here it comes!“, sagt Denise.

Und der Raum erzittert für ungefähr fünf Sekunden.

Niemals isoliert!

Es ist Montag Abend und ich warte an der Metrostation Kitaurawa um von meinem neuen Gastgeber Andy abgeholt zu werden. Es scheint so, als ob Couchsurfing noch nicht so ganz bei der Japanischen Bevölkerung angekommen ist, da ich mehrheitlich von hier lebenden Ausländern beherbergt werde. So auch dieses Mal. Andy empfängt mich mit einem wunderbaren, britischen Akzent. Auf dem Weg zu seinem Haus reden wir über Gastfreundschaft und darüber, wie er in Japan gestrandet ist. Andy, 45, Fachjournalist für japanische Metallindustrie, kommt aus Portugal, ist aber zweisprachig aufgewachsen. Er schreibt für eine britische Fachzeitschrift.

Posterwant der 16-jährigen Tochter

Posterwand der 16-jährigen Tochter

Es ist ein schönes, dreistöckiges Haus. Mindestens zweimal so groß wie das in Shibuya, in dem ich vor zwei Wochen untergebracht war. Andy ist verheiratet und hat eine 16-jährige Tochter. Auch wenn die Woche gerade erst begonnen hat und keine Ferien sind, sind Frau und Kind nicht zu gegen: „Meine Frau lebt zusammen mit unserer Tocher auf der anderen Seite Tokyos. Unsere Tochter geht dort auf eine sehr gute Highschool. Es wäre schlicht und ergreifend zu viel Zeit, die fürs Pendeln verloren ginge, weshalb wir uns dazu entschieden haben, dort eine Wohnung für beide zu mieten. Es ist nicht üblich, dass man mit 16 in Japan alleine lebt. Es ist hier tatsächlich normal noch bei seinen Eltern zu leben, wenn man auf die Uni geht. Ungewohnt hm? Keine Rebellion.“

„Rebellion?“, frage ich.

„Nun ich meine, dass viele Dinge hier so vorherbestimmt sind. Wenig Gelegenheit, ein wirklich eigenes Leben zu leben. Ich glaube, das ist es, was Japan ein wenig fehlt. Viele Dinge sind einfach zu organisiert. Was dazu führt, dass nur einige, zu wenige, eine wirklich eigene Meinung haben oder wirklich individuell sind. Oder sagen wir es so, sie haben natürlich eine eigene Meinung, äußern sie aber selten und tun noch weniger dafür an bestimmten Missständen wirklich was zu ändern.“

„Hm, das könnte ein Grund dafür sein, dass es hier fast nie Demonstrationen auf den Straßen gibt. Und wenn sie stattfinden sind sie nicht wirklich groß.“, denke ich mir.

Andy bereitet ein marokkanisches Gericht zum Abendessen zu: „Ich kam schon vor Jahren nach Japan wo ich meine Frau fand und heiratete. Sie ist eine gut ausgebildete Biologin und hatte eine ebenso gut bezahlte Stelle in einem Unternehmen, das in der Krebsforschung tätig ist. Nach einigen Jahren hier beschlossen wir nach Portugal zu ziehen, da ich dort einen Job hatte, was bedeutete, dass sie ihren Job hier in Japan aufgeben musste. Auch wenn es für sie in Portugal schwer war, fand sie dort relativ leicht eine neue Stelle. Aber nach einigen Jahren fanden wir heraus, dass wir dort einfach nicht hingehörten und kamen nach Japan zurück.“

„Darf ich fragen, was Deine Frau heute macht?“

„Natürlich, sie ist Hausfrau. Als wir von Portugal zurückkamen, bewarb sie sich abermals in der Forschung, aber bekam keine Stelle mehr. Nur noch Angebote für geringere Positionen wie Assistenzjobs oder Sekretärin.“

„War der Bereich, in dem sie gearbeitet hatte, nicht länger lukrativ oder was war der Grund dafür?“

Seine Antwort kommt augenblicklich und und beinahe schon mit etwas Ärger: „Ihr ‘Fehler’ war, dass sie Ihren Job aufgegeben hatte um Japan zu verlassen! Die Japaner betrachten dies als nicht verlässlich. Also wollte sie deswegen niemand einstellen als sie zurückkam. Es hat offensichtlich keine Bedeutung wie talentiert man ist! Dieses Land hat ein Meer an vergeudetem Talent. Weißt Du, das ist eines der wenigen Dinge, die mich an diesem Land wütend machen. Nach einigen Jahren ertrug sie diese Assistenzjobs nicht mehr also wurde sie Hausfrau.“

Ich bin sprachlos. Trotz der Tatsache, dass Andy der einzige Ernährer der Familie im Haus ist, nimmt er sich dennoch Zeit mich zu beherbergen, für mich zu kochen und mich am nächsten Tag herumzuführen.

So sehr ich sein Haus auch mag gibt es etwas daran – nicht nur an seinem, sondern an japanischen Häusern im Allgemeinen – das mich verrückt macht. Die fehlende Isolierung. Egal wie viele Vorhänge man zuzieht, egal wie viele Fenster, Fensterläden, und Türen man schließt, hört man trotzdem immer den Verkehrslärm. Natürlich hat dies auch eine enorme Energieverschwendung zur Folge. Die Wände haben eine Maximalstärke von 15 cm. Es gibt keine Glaswoll- oder Styroporisolation in den Wänden, die die Hitze von draußen daran hindern würde in die klimatisierten Räume zu gelangen. Und natürlich ist es im Winter genau umgekehrt. Japaner verschwenden lieber drei oder vier mal so viel Energie als sie eigentlich müssten, da es einfach überhaupt nicht üblich ist die Häuser hier zu isolieren. Auch sind die Fenstergläser nicht doppelt. Weder in den klimatisierten Zügen noch in den Wohnhäusern. Mein letzter Gastgeber Ryan sagte mir, dass er sein Haus mit einer beweglichen Kerosinheizung warmhalten würde. All das in einem der reichsten Länder der Welt? Wie passt das zusammen?

 

Um Strom durch heruntergefahrene Klimaanlagen zu sparen stellte die Regierung kürzlich das „Super cool business“ vor, ein Berufsleben, das ohne Anzüge auskommen soll. Nicht erst seit 3/11 – aber erst recht seitdem – leidet Japans Wirtschaft. Wie in den meisten Wirtschaftskrisen der Neuzeit geben die Leute nicht mehr Geld als nötig aus, was wiederum zu einem ökonomischen Teufelskreis führt. Um dem entgegen zu wirken subventionierte die japanische Regierung Anschaffungen von Haushaltsgeräten. Andys Familie machte davon Gebrauch. Der Kühlschrank ist von einer japanischen Firma, aber in China produziert. Also half es der hiesigen Wirtschaft nicht besonders. Anstelle dieser Aktionen täte Japan gut daran ihre Bauindustrie zu fördern – eine Branche, die praktisch nicht exportieren kann. Somit könnte Japan zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie würden enorme Mengen an Energie sparen, sodass sie nicht so viele Atomkraftwerke brauchen würden. Und es wäre – zumindest zeitweise – ein großer Aufschwung für Japans Wirtschaft.

Grabstein

Grabstein

Am nächsten Tag führt mich Andy durch Omiya. Da er einen gut ausgestatteten Familienhaushalt hat, leiht er mir ein Fahrrad und wir beide radeln zum Tempel von Omiya. Wir befinden uns auf dem Weg dorthin, als mich Andy anhält um mir einen buddhistischen Friedhof zu zeigen. Schön, bisher hatte ich nicht die Gelegenheit einen zu betreten und die Gräber aus der Nähe zu sehen.

Auf dem Friedhof

Auf dem Friedhof

Wieder auf unserem Weg zum Tempel nur wenige Minuten später unterbricht er schon wieder unseren Ausflug, um mir den neu erbauten Omiya Metrobahnhof und das Zentrum mit dem neu erbauten Stadion zu zeigen. Yoko Ono’s John Lenon Museum befand sich in diesem Stadion. Nun, dies ist Japans Versuch schöner, moderner Architektur. All diese Gebäude hier sind relativ neu.

Omiya Metrobahnhof

Omiya Metrobahnhof

Stadion in Omiya

Stadion in Omiya

Da Japan während des zweiten Weltkriegs ein Meer von Bombenangriffen erlitt ist dieser Tempel leider nicht so alt, wie ich es mir erhofft hatte. Aber er ist dennoch schön angelegt. Zusätzlich war ich noch nie an einem Ort, an dem ich so viele Schildkröten in einem Teich gesehen habe.

Tempel in Omiya
Tempel in Omiya
Ich brauch 'n paar Kröten

Ich brauch 'n paar Kröten

Tempel in Omiya

Tempel in Omiya

Selbst den Rückweg schaffen wir nicht ohne Unterbrechung. Aber ich bin dankbar dafür, denn Andy ist der erste Gastgeber, der mir zeigt, dass es tatsächlich günstige Gemüsehändler gibt.

Eines morgens klingelt es. Ein Blaumann mit Bauhelm überreicht Andy ein kleines, in Plastik gepacktes Handtuch als Geschenk zur Entschädigung für eventuelle Unannehmlichkeiten durch die gerade beginnenden Streicharbeiten am Nachbarhaus.

Hm. Vielleicht sollte ich das in Deutschland mal ausprobieren, bevor ich eine Party mache, die ggf. lauter werden könnte und somit auch für eventuelle Unannehmlichkeiten sorgen könnte. Wenn einige betrunkene Gäste zu laut grölen, hätten die Nachbarn dann sogar etwas, dass sie sich in die Ohren stopfen könnten, so klein wie das Handtuch ist. Hm… aber andererseits passt so ein kleines Handtuch auch gut in den Mund eines grölenden Betrunkenen. Hm… Man muss ja nicht immer gleich alle neuen Ideen verwerfen aber bezüglich dieser Idee ist es vielleicht dennoch besser das Handtuch zu werfen.

Gegen Mittwoch Abend ziehe ich wieder um. Auf dem Weg zu meinen nächsten Gastgebern werde ich mit einem neuen Problem konfrontiert. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass man nicht in der Hauptverkehrszeit mit zwei voll bepackten Rucksäcken versuchen sollte, Metro zu fahren…

Wieder ein amerikanisch-japanisches Paar. Dylan, 30, hat erst vor kurzem seine 29-jährige Frau geheiratet. Beide bereiten sich darauf vor, Japan zu verlassen, um in den U.S.A. Fuß zu fassen.

Ach ja…

Oh, habe ich das vergessen, zu erwähnen? Dieser Donnerstag ist mein erster Arbeitstag als Englischlehrer in der Nachmittagsbetreuung. Ja, ich habe den Job angenommen. Was aber nicht heißt, dass die Stellensuche hiermit beendet ist, da es sich leider nur eine Halbtagsstelle handelt und ich mindestens noch zwei weitere Stellen brauche, um meinen Aufenthalt hier finanzieren zu können. Und da der erste Arbeitstag nicht gerade repräsentativ ist, warte ich noch ein wenig bis ich darüber berichte. Also bitte ich um etwas Geduld…

Besonderen Dank an: Hubertus Neidhart vom Deutschen Webspace Provider Network für den guten Service, Lilith Pendzich, Ann-Jessica Diehl und all meine Gastgeber.

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