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Dez 11 2011

21ste Woche

Beherbergende Berge

Bisher hatte ich mit meinem Japanaufenthalt äußerst viel Glück. So auch mit meiner jetzigen Arbeit. Ich arbeite im Manza Onsenhotel. Die Lage in den Bergen ist ein Traum, der Nachthimmel ist kristallklar – eine schöne Abwechslung nach dem sternenlosen Himmel über Tokio – und wir haben bereits den ersten Schnee.

Sie standen an den Hängen und Pisten

Sie standen an den Hängen und Pisten

Schwefelgrube und Schnee

Schwefelgrube und Schnee

Zum Schrei(e)n. Schrein in den Bergen.

Zum Schrei(e)n. Schrein in den Bergen.

Wobei natürlich auch jede Arbeit kleine Schattenseiten hat. Es ist nicht mal der Beginn der Arbeitszeit, der mich stört. Ich nahm an jeden Tag um 5 Uhr morgens aufstehen zu müssen. Von wegen. Meine Schicht ist in zwei Teile unterteilt. Der Erste beginnt um 7:30 und geht bis 10:00, der Zweite von 15:30 bis 22:00 Uhr. Und ich muss vor Schichtbeginn nicht mal Zeit fürs Frühstücken oder Abendessen einplanen, da uns innerhalb der Schichten jeweils 30 Minuten fürs Essen gegeben werden. Allerdings hat man zu jeder Schicht zehn Minuten früher zu erscheinen. Mir wurde gesagt, dass dies in Japan normal sei. Scheinbar habe ich diesbezüglich bei meinen bisherigen Arbeitsstellen hier in Japan Glück gehabt, da ich weder als Englischlehrer noch als Linguistik Videospieletester täglich 20 Minuten unbezahlte Arbeit zu leisten hatte. Doch auch meine japanischen Freunde bestätigen mir, dass dies normal sei. Wenn man es rein rechnerisch betrachtet entsteht mir somit ein Schaden von 1200 Yen (11,60 €, 14,18 CHF) pro Woche, 4.800 Yen (46,24 € 56,70 CHF) pro Monat und 24.000 Yen (231,21 €, 283,58 CHF) für die fünf Monate, die ich wahrscheinlich bleiben darf. (Ich habe vorerst einen zwei Monatsvertrag bekommen, da die wirtschaftliche Situation immer noch etwas angespannt ist.) Ich möchte nicht wissen, wie groß der jährliche Schaden für die unbezahlte Mehrarbeit wäre, würde man diesen Betrag auf Japans arbeitende Bevölkerung hochrechnen. Die Zahl müsste im Milliarden € Bereich liegen. Dadurch, dass ich nicht wahnsinnig viel verdiene, ist der Verlustbetrag noch recht gering. Aber auch vor hoch bezahlten Ingenieuren, Fach- und Führungskräften macht diese Regel keine Ausnahme. Was im Westen sofort die Gewerkschaften auf die Barrikaden treiben würde, wird hier als ganz normal angesehen. Dennoch will ich mich nicht beklagen. Denn nach all den Extras, die ich in der letzten Woche aufgezählt habe, bekomme ich noch zusätzlich kostenlos zwei Stunden die Woche Japanischunterricht. Für mich mehr als ein Ausgleich für die Mehrarbeit, denn Japanischunterricht ist teuer und kostet mehr, als der Betrag, den ich durch das Volontieren verliere. Eigentlich ungerecht, denn meine japanischen Kollegen haben schließlich nicht die Möglichkeit, kostenlosen Sprachunterricht zu bekommen. Ein paar Englischstunden wären nicht nur für sie, sondern auch für das Hotel von Vorteil.

Manza Onsen Hotel

Manza Onsen Hotel

Noch was für Sparfüchse, die öfters zum Fitnesscenter gehen. Den Betrag, den man dafür monatlich ausgibt, kann man sich bei dieser Arbeit auch getrost sparen. Wer schließlich zwei mal täglich 300 Massivholzstühle hintereinander auf Tische hievt um sie nach dem Putzen wieder auf den Boden zu stellen, mehrmals pro Schicht 20 kg schwere Speisetöpfe von der Küche zum Buffet schleppt und beim Putzen Ganzkörpereinsatz zeigen darf, braucht wirklich kein Fitnesscenter mehr. Auch wenn die Arbeit hart ist, gefällt sie mir sehr. Ich lerne viele japanische Speisen und deren Zubereitung kennen. Die Kollegen sind freundlich, sehr hilfsbereit und erklären mir alles. Es gibt nie Längen und immer etwas zu tun. Dadurch, dass ich sowohl in der Küche als auch im Speisesaal arbeite, ist die Arbeit sehr abwechslungsreich und die Zeit vergeht wie im Fluge.

Flocken auf den weißen Stein

Flocken auf den weißen Stein

Das Hotel selbst erinnert mich ein wenig an Club Mediterrane oder Club Aldiana der europäischen Alpen (es gibt tatsächlich auch in Japan eine Gebirgskette, die sie Alpen genannt haben). Zwar wird der Umgang mit den Mitmenschen hier nicht so locker wie im Club gehandhabt – die japanische Höflichkeit vergisst man auch hier nicht – doch das Buffet ist vergleichbar gut, die Zimmer ebenfalls ähnlich ausgestattet (soweit ich weiß verzichtet Club Med immer noch auf Fernseher im Zimmer – oder hat dies zumindest bis weit in die 90er Jahre gemacht). In Japan natürlich undenkbar. Wohingegen es hier in der unteren Preisklasse Zimmer mit Gemeinschaftstoilette gibt, was wir nur von Jugendherbergen kennen. Genau wie in Kinugawa (zweite Woche) kann man auch hier zwischen Räumen mit traditionellem Tatami-Fußboden (Reisstrohmatten) ohne Bett, mit Futon Matratze oder zwischen eher westlich orientierten Räumen mit versiegeltem Holzfußboden, Betten und eigenen Toiletten wählen. Dennoch, nur die teuersten Zimmer haben ein eigenes Bad mit Dusche und ohne Badewanne. Für gewöhnlich wäscht man sich gemeinsam mit den Gästen bei den Duschen im Onsen. Ohne Sichtschutz. Und wie in den Clubs gibt es auch hier jeden Abend eine Veranstaltung. Wohingegen sich das Programm der Clubs mehr auf Sketche, Tanzeinlagen, Quiz oder Comedy konzentriert, handelt es sich hier meist um musikalische Darbietungen mit – für westliche Ohren – meist recht kitschigen Liedern. Mir hat es die Sprache verschlagen, als ich Johannes Brahms ‘Guten Abend gute Nacht’ auf einer Posaune dargeboten bekam. Doch den meisten Japanern scheint es zu gefallen. Aber auch der japanische Kitsch hat etwas Nettes. Es ist immerhin deren eigene Kultur, die hier gepflegt wird. Hört man beispielsweise in einem Club die U.S. amerikanischen oder UK Charts zum tausendsten mal, wäre etwas musikalische Alpenkultur zur Abwechslung doch mal etwas Besonderes. Und wenn es einfach nur darum geht, die Kultur kennen zu lernen. Ein Clubtanz bleibt den Gästen hier allerdings erspart.

Kapitän zur Brücke!

Kapitän zur Brücke!

Selbst in Japan geht alles den Bach runter.

Selbst in Japan geht alles den Bach runter.

Warum das Badewasser hier so gesund ist, was der japanische Kaiser mit dem Onsenhotel zu tun hat und mehr über die Umgebung gibt es in der nächsten Woche.

Besonderen Dank an: Hubertus Neidhart vom Deutschen Webspace Provider Network für den exzellenten Service; Lilith Pendzich;

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